Schleim der Worte

Dienstag, Juni 01, 2004

November meines Herzens

Im November meines Herzens überkam mich ein süßer Schimmer nahender Ewigkeit. Ich packte meine sieben Lachen und die sentimentale Sehnsucht meines ernstverzerrten Alters, und zog ein in die schweißgetränkte Finalrunde meines endenden Wettlaufes. Noch einmal durchlief ich den von Sterilität durchfluteteten Kachelkäfig meiner Geburt, rannte zum normgeferchten DIN-Palast meiner Zeuger und Erzeuger tiefster Ahnungen über das Vorhandenseien eines Denkapparates im Verborgenen eines meiner Enden, an dem ich Stoffe verschiedenster Art aufzunehmen bereit zu sein hatte. An diesem Ort verweilte ich einen Augenblick, die Schranken meiner damaligen Erkenntnislosigkeit aufbauend. Von tiefster Freude über den Gewinn meines Geistes gezogen und dessen Fortschreiten nachvollziehend, überkam mich plötzlich der Zwang tieferen Versinkens in den Morast meines Weges. Mir war es, als spürte ich den Trieb meines Gefühles, zur Scheide des greifbaren, fühlbaren Bodens und der aufgelösten Sinnlichkeit der verwehenden Lüfte zu gelangen. Während ich diesem Zustand näherrückend vorandrängte, überkam mich ein Gefühl zehrender Einsamkeit, das mich auch dann nicht verließ, als ich der Begegnung meiner ersten 'Liebe' entgegen wühlte. Da erkannte ich plötzlich die Schranken im Inneren meines Herzens, die so sehr den anderen glichen, daß ich erschrocken über die Unvorhersehbarkeit meiner Einsicht, nach der ich ach so lange gesucht zu haben schien, tief gerührt in der Stille der nicht denkbaren Zeiten versank. Ich spürte das Anwachsen meines Gehirnes im Rausch diese Erkennens, und fühlte erst spät, sehr spät, daß mein Herz, verursacht durch denselben Rausch, grausam zusammenschrumpfte, ja inzwischen war es fast im Begriff, sich aufzulösen. Da erst begriff ich, nein ich fühlte, Daß ich die erdrückenden Schranken meiner Einsichten, die niemals vollstaändig seien konnten, zerstören mußte, um die Pole meines Handelns vor dem Zerbersten und der Auflösung zu bewahren. Mitlerweile war mein Scheitel fast an dem Punkt meiner erkennenden Gegenwart angelangt. Doch ich streubte mich dagegen, kämpfte gegen das Erreichen des Punktes, den vor Kurzem als Ziel und Erfüllung meines Laufes, zu überschreiten ich mir sehnlichst herbeigewünscht hatte. So sehr ich mich auch bemühte, der Erfüllung meines Laufes zu entgehen, konnte ich doch nicht verhindern, daß mich das Ziel erreichte. Schon war ich bereit, mich der Unausweichlichkeit meiner Endigung hinzugeben, und sah meine Pole in der Unlösbarkeit meiner Bestimmung versinken. Da bemerkte ich, daß ich dem Ziel längst vorausgeeilt war und nun in flüssig festem Gas schwimmend, der Unendlichkeit entgegenrennend schwebte. Und ich vergaß all mein Erkennen im Januar meines Herzens.

(c) Jörn Bielewski, 26.3.88